Nic. Molitor

Image: Battle-damaged Molitor house
Workers repairing battle-damaged Molitor house

Kriegsgeschehen in Bondorf

Dezember 1944

An jenem Bergrücken, der sich von Belgien herüber, an dem großen Habicher Wald vorbei, über die Corne du Bois des Pendus - La Folie - Perlé - Flatzbour, nach unserem Ländchen hinzieht, da liegt von drüben "Op dem Bärig" wie aus der Vogelschau gesehen, unser Heimatdorf Bungeref. Diese Höhenzüge erstrecken sich weiter von hier aus, quer ins Luxemburgische hinein, über Koetschette, Grevels, Eschdorf bis zum Tale der Sauer. Als nun im Dezember 1944 die Deutschen Armeen in unser Land einfielen, schien es wie wenn dieses Berggebilde sich schützend vor den gegenüber liegenden südlichen Teil des Landes gestellt und dem Eindringling ein Halt entgegen gesetzt hätte. Denn über diese Linie hinaus sind die Deutschen nicht gekommen oder höchstens nur für einige Stunden. Schwere Kämpfe wurden ausgefochten und der Rückzug mußte angetreten werden. Wir sind vom hohen Ösling herunter die letzte Ortschaft, die in dieser Ecke an der belgischen Grenze, noch von den Deutschen überfallen wurde. Die Nachbarortschaften Perlé, Wolwelingen, Holtz blieben verschont.

Nördlich von hier aus geht das Gelände in. leichter Steigung den "Knupp" hinauf um dann sofort nach dem Sauertal abzufallen. Von dieser Seite von Bauschleiden her über die Bondorfer Mühle, am Fuße des Hochfels vorbei, von da kamen sie, die Preußen, kam unser Unheil herauf ins Dorf.

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle über all die Kriegserlebnisse hier in Bondorf zu berichten und von all dem Leid und Unglück zu erzählen, das jeder einzelnen Familie beschieden war. Kurz zusammengefaßt sei hier eine kleine Schilderung gegeben:

13. Dezember. Die so lang ersehnten Amerikaner treffen nun endlich bei uns ein. Wir haben auch mal Einquartierung. Alle Hausbesitzer stellen bereitwilligst Zimmer zur Verfügung. Scheunen und Schuppen werden ausgeräumt. Schulsäle und leerstehende Häuser werden von den Tommies bezogen. Überall herrscht ungetrübte Freude und Begeisterung. Von einem amerikanischen Offizier, mit dem ich für die Einquartierungen den Rundgang im Dorf machen mußte, erfuhr ich, daß die Absicht vorlag, eine längere Zeit hier zu verbleiben und den Winter in aller Ruhe bei uns zu verbringen. Leider kam es anders. Drei Tage später, am 17, Dezember, wurde schon wieder in aller Eile zusammengepackt und tags darauf waren die circa 250-300 Mann wieder abgefahren. Was sollte dies alles zu bedeuten haben? Etwas Sicheres wußte man nicht. Überall dieselbe Frage: Sind die Preußen wieder im Land? Ja, sie sind schon in Wiltz, in Diekirch, in Ettelbrück. In Diekirch soll es schon brennen, das Hôtel du Midi am Bahnhof stehe in Flammen. In Autos kommen schon die ersten Flüchtlinge hier durch. Etwas später wird der Strom immer stärker. Mit hochbeladenen Wagen und Karren. Die alten Leute, Frauen und Kinder sitzen oben auf. Die jungen treiben die Pferde. Andere kommen auf Fahrrädern, mit Handkarren oder zu Fuß.

In der Nacht von Montag auf Dienstag fährt eine Kolonne amerikanischer Panzer hier durch. Richtung Süden, also fort aus der Kampfzone. Sie fahren ohne Licht die Straße hinunter. Es war fast gespensterhaft anzusehen. Sind die Amerikaner denn auf der Flucht? Es schien so. Was soll noch aus uns werden? Nun wurde auch schon hier schnell zusammengepackt und die Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Es setzt ein großes Durcheinander ein. Diejenigen, die kein Gespann haben, wollen mit dem Nachbar mit fort. Wenn es nur geht. Ja, es muß gehen. In vielen Häusern bleiben die alten Leute. Die jüngeren mit den Kindern fahren ab. Dann die jungen im wehrpflichtigen Alter. Andere wollen den Schritt ins Ungewisse nicht wagen. Wollen mit ihrer Familie, mit ihren Kindern bleiben, vielleicht nimmt diese Offensive jetzt doch noch eine günstige Wendung. Wenn alles fortläuft, muß der ganze Viehbestand verhungern und zu Grund gehen. Wer gibt einen guten Rat? Wer trifft die richtige Entscheidung? Jedenfalls es bleibt keine lange Zeit zum Nachdenken. Es heißt sich schnell entschließen, denn der Kanonendonner kommt immer näher. Man fährt in die Nacht hinein. Wohin? Genaue Angaben konnte niemand machen. Nur fort wo noch eine Durchfahrt offen war. Bis nach dem Miniettebassin oder rüber nach Belgien. Eine ansehnliche Zahl stoppte in Kleinelcheroth. Man wollte mal hier abwarten. Während der letzten Nacht hört man noch immer draußen Pferdegespanne die Straße herunter kommen. Ein niederdrückendes Gefühl war es, diesem scharf abgetrennten Pferdegetrampel in der Winternacht zuzuhören. Die armen Leute fuhren vielleicht jetzt grade der Gefahr entqegen. Oder wir, die die Heimat nicht verlassen wollten, wir können in noch größere Gefahr kommen, in Todesgefahr. Vielleicht in ein paar Stunden können die Granaten hier einschlagen. Der Krieg mit all seinen Schrecken konnte jeden Augenblick über uns hereinbrechen. Und er kam.

Mittwoch Abend 7 Uhr. Die Preußen sind wieder im Dorf. Im Nu tauchen sie an allen Ecken auf. Das Dorf war überschwemmt. Man wollte es vorab nicht glauben. Wer sich noch zufällig auf der Straße befand, wurde festgenommen. Wieder die so verhaßte preußische Uniform ? obschon sehr viel von ihnen amerikanische Joppen trugen, sogar die qanze Uniform - es blieb sich gleich - sie waren es. Dies konnte man schon an dem Gebrüll von draußen feststellen. Wieder dieses Geschrei, diese Kommandotöne in harter kreischender Sprache. Es tat einem weh. Sie dringen in die Häuser ein. Dieser erste Kontakt wieder, nach der angeblichen Befreiung, er war niederschmetternd. Man war wie vor den Kopf geschlagen. "Sind Amerikaner hier im Haus?" - "Nein." Türen und Schränke werden aufgerissen. "Wenn einer gefunden wird, werdet ihr alle erschossen." - "Also hier kommen 20-50-100 Mann in Quartier." - "Das Essen ist für diese Leute zu bereiten." Dann gehts in den Keller. Was von Wein, Schnaps oder Likör gefunden wird, wandert mit. Inzwischen werden die paar brauchbaren und unbrauchbaren Autos aus den Garagen herausgeschleppt und abtransportiert. Gestohlen wurden in erster Linie sämtliche auffindbaren Radioapparate. Die leerstehenden Häuser werden vorab ausgeplündert. Fleisch, Speck und Schmalz war ja fast überall reichlich vorhanden. Wie fein ausgerechnet oder ist es nur Zufall. Jedenfalls, für Weihnachten haben wir hier im Ösling reichlich aufgefüllte Fleischbütten. Es wurde mal richtig fett gelebt. Viel zu fett. Hauptsächlich Bratkartoffeln waren sehr begehrt. Sie schwammen nur so im Schweineschmalz herum. Der arme Magen war für solch eine außergewöhnliche Leistung nicht geeicht. Er kriegte den viel zu vielen und fetten Stoff nicht verarbeitet, zog sich krampfhaft zusammen und brachte die ganze Ladung nach oben, wieder ans Tageslicht. Es konnte auch umgekehrt sein, darin sah man kreidebleiche Gesichter in schnellem Tempo hinter der nächsten Gartenhecke verschwinden.

Dann das Federvieh. Von dem gab es ja noch genug im Dorf. Das Halsumdrehen wurde schnell und gründlich von den Hühnerdieben besorgt. Das Rupfen mußten in vielen Fällen die Eigentümer der toten Tiere selbst übernehmen. Es folgt hier ein Brief, der in der Tasche eines gefallenen deutschen Soldaten gefunden wurde. Dieser Brief, der an seine Eltern gerichtet ist und in dem derselbe die großartige Verpflegung schildert, die ihm hier zu Teil wurde und den unumstößlichen Beweis liefert, wie die preußischen Eindringlinge es hier im Lande gemacht haben. Ich gebe denselben wortgetreu hier wieder:

22. Dezember.
Liebe Eltern!
Komme heute endlich dazu nach langer Zeit Euch einige Zeilen zu schreiben. Wo ich bin könnt Ihr ja Euch denken, im Luxemburgischen Land auf der Grenze Belgiens. Ich bin jetzt bei den Fallschirmjägern Sturm-Geschütz-Begleiter, die das Sturmgeschütz beschützen vor Nahkämpfen. Da hatte ich mich auch gemeldet, da ist es prima, da braucht man nicht so zu laufen sondern sitzt man darauf, Auge beim Feind, denn der läuft, daß wir gar nicht nachkommen. Wir kochen im Panzer-Auto. Verpflegung bis dort hinaus. So gut wie hier auf dem Vormarsch habe ich in meinem Leben noch nicht gehabt. Schokolade, Wein, Likör, Schnaps, Speck in Hülle und Fülle. Und der Spaß dabei, das könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen. Heute haben wir für uns fünf Mann 3 gebratene Hendel, es steht uns schon alles bis zum Hals.
Wir sind heute in einem Bauernhof schön warm. Die Besitzer sind zum Teufel gelaufen weil sie Angst haben vor der Schießerei. Und da steht uns alles vor der Nase, was sich der Deutsche Landser wünscht. Schokolade, Keks und andere Süßigkeiten holen wir uns von den Amerikanern. Wir leben hier wie Gott in Frankreich. Wie ich in Einsatz gefahren bin, ist vor unserem Geschütz ein Rauchfangkehrer über die Straße gelaufen. Wo wir zu den Weihnachten sind, weiß ich noch nicht. Auf jedenfalls werden wir sie gut verbringen. Ich wünsche Euch ein recht gutes Neues Jahr. Es grüßt Euch
Euer Sohn, Bruder, Enkelkind. Sieg Heil!

Inzwischen treffen weitere Truppenteile hier ein. Fünf Panzer stehen hier beisammen, halb in Deckung, dicht an den Hausgiebeln herum, wovon ein erbeuteter amerikanischer. "Unsere Panzerspitzen stehen vor Brüssel; Sedan ist genommen. Morgen sind wir in Antwerpen. Ist Luxemburg auch schon besetzt? Natürlich, es geht rasch vorwärts."

Samstag, 23. Dezember. Große Ereignisse bereiten sich vor. Die Panzer sind startbereit. Wohl noch ein halbes Dutzend, mit stark gesalzenem Pökelfleisch aufgefüllte gebratene Gänse ziehen mit in den Kampf. Der Herr Oberleutnant steht aufrecht im Vorderpanzer, die Generalstabskarte vor sich ausgebreitet. Er hält eine Rede, in welcher er seine Soldaten zu weiteren großen Siegen anfeuert und schließt mit den Worten: "Denn das schönste Weihnachtsgeschenk, das wir dem Deutschen Volk, der Heimat, machen können, das sind wir durch unseren siegreichen Vormarsch jetzt im Begriffe zu tun. Sieg Heil!"

Kaum eine Stunde später war der Herr Oberleutnant bereits in seinem Panzer tödlich getroffen. Auf dem "Kiem" am Straßenrand liegt er begraben. Das muntere Abschießen von amerikanischen Panzern, wie noch am Morgen behauptet wurde, war doch nicht so einfach. Von den fünf die morgens fuhren, blieben drei bei den Anfangskämpfen in Flatzbour zerschossen und ausgebrannt auf der Strecke.

Es ist 12 ½ Uhr. Die ersten Granaten schlagen ein. Drüben hört man die Maschinengewehre bellen. Der Tanz geht los. Für viele wird es der Totentanz sein. Wen wird es treffen? Die Dorfleute flüchten in die Keller. Die Deutschen teilweise auch.. Sie erwarten Verstärkung, Panzer-Division Groß-Deutschland ist im Anrollen, heißt es. Kommt jedoch nicht, oder kommt zu spät. Die Amerikaner gewinnen das Wettrennen, gewinnen es auch durch ihren massenhaften Materialeinsatz. Fliegerbomben fallen. Schießen die Häuser aus der Luft in Brand. Angstvoll hocken die Dorfleute zusammengedrückt in den Kellern. Sie beten den Rosenkranz, glauben, ihre letzte Stunde habe geschlagen. Dann unter Todesgefahr wieder heraus. Über ihrem Kopf brennt das Haus. Flüchten aufs Feld, in den Wald mit kleinen Kindern und alten Leuten oder in den Nachbarkeller wo dieselbe Gefahr auf sie lauert.

Inzwischen gehen die Kämpfe weiter, nehmen in der Nacht noch an Heftigkeit zu. Immer stärker donnern die Geschütze. Immer mehr amerikanisches Material muß zum Einsatz kommen. Bis in die Häuser hinein liegen tote deutsche Soldaten. Auch Zivilleute sind getroffen. Die Sanitäter schleppen Schwerverwundete in den Keller. Der Stabsarzt hat alle Hände voll zu tun.

Am Sonntag morgen dringen die Amerikaner über den "Kiem" in das untere Dorf herein. Ihre Panzer umzingeln das Dorf, sie schießen auf alles, was sich draußen zeigt. Die Schlacht ist für die Deutschen verloren. Gegen drei Uhr nachmittags sind die Amerikaner schon im oberen Dorf. Der Stabsarzt sagt zu mir im Keller: "Ich. muß Ihnen mitteilen, unsere Truppen können den Ort nicht halten." - "Woraus schließen Sie das?" - "Nach Berichten meiner Sanitäter, übrigens steht schon ein amerikanischer Panzer hier vor der Türe." - "Wollen Sie sich denn ergeben?" - "Es wird uns wohl nichts anders übrig bleiben." - "So könnte man vielleicht eine weiße Fahne aushängen?" - "Ja, das kann man ja machen." Schnell die Kehrbürste vom Stiel abgeschlagen und die weiße Fahne war gleich fertig, die ein Sanitäter nach der Straße zu aushängte. Draußen brannten noch vierzig Wohnhäuser, sieben Feldscheunen oder Schuppen.

Die Amerikaner finden jetzt kaum noch Widerstand. Wer noch Zeit kriegte zum flüchten, setzt über die Brücke an der Bondorfer Mühle. Zurück, von wo aus sie gekommen. Bevor sie das Sauertal verließen, sprengten sie die Brücke noch in die Luft. Der Rest wurde hier im Dorf gefangen genommen. Unter schweren Kämpfen war Bondorf wieder frei und dies als erste Ortschaft der ganzen Rundstedt-Offensive.

Von Dorfeinwohnern wurden tödlich getroffen: Nik. Wampach, von den Deutschen erschossen; - Peter Reiter, Frl. Anna Scholer, Frl, Marie Pesché, diese drei durch Granatsplitter getötet.

Ferner wurden von den Deutschen erschossen: Nic. Urth aus Koetschette und Nic. Conrardy aus Wiltz. In der Wehrmacht fiel in Rußland Joh. Scheuren.

Und jetzt nachdem Bondorf so schwer gelitten, nachdem ein großer Teil des Viehbestandes zu Grund ging (92 Stück Großvieh wurden gezählt), machen die Dorfbewohner sich wieder mit frischem Mut an die Arbeit, Vieles ist schon ausgeglichen, vieles bleibt noch zu tun. Der Aufbau selbst hat auch schon gute Fortschritte gemacht, leider konnte bis jetzt kaum ein Viertel der Sinistrierten wieder in ihre fertigen Wohnungen einziehen. Es kann demnach noch lange dauern bis Bondorf diesen Wiederaufbau beendet hat.

Im Juni 1947 Nic. Molitor

Quelle: Fanfare Bigonville (1947): Cinquantenaire de la Fanfare Bigonville 1895-1947, Imprimerie Winter, Redange-s-Attert.